Ein Symbol dafür wie abhängig Unternehmen von ihren Lieferketten sind, dafür wie die Notfallbewältigung auf rudimentäre Technik zurückgreifen muss und letztlich auch dafür, wie die kleine Person die große Krise managen muss. Das neueste Beispiel dafür, wie vulnerabel Handelsketten sind, hat die Havarie der „Ever Given“ im Suezkanal Ende März 2021 geliefert.
Ein Kanal, knapp 200 Kilometer lang, 120 Meter breit, verkürzt die Strecke zwischen dem Nordatlantik und Asien um ca. 30%. Statt rund eine Woche lang Afrika zu umschiffen, reicht eine Kanaldurchfahrt von 11 bis 16 Stunden für Schiffe aus aller Welt aus. Kein Wunder also, dass diese Strecke viel Befahren ist und knapp 10% des Welthandels dieses Nadelöhr passieren.
Das ein Schiff dort feststecken bleibt, ist nichts Neues – in den vergangenen 10 Jahren saßen dort vorübergehend ca. 25 Schiffe fest. Aber keines so groß oder so lange wie die Ever Given. Das erste Mal in der Geschichte des Suezkanals war ein Umfahren eines festsitzenden Schiffes nicht möglich. 6 Tage lang konnte kein anderes Schiff den Suezkanal durchfahren, sodass mit der Ever Given über 400 weitere Schiffe festsaßen. Darunter auch ca. 20 Rohöltanker, was zu einem vorübergehenden Anstieg der Ölpreise von bis zu 6% führte mit anschließendem Einbruch der Ölpreise. Auch ein Tierfrachter mit ungefähr 130.000 Schafen war unter den festsitzenden Schiffen. Zwar hatte der Tierfrachter noch genug Futter und Wasser, aber bei einer noch längeren Wartezeit hätten weitere Schritte eingeleitet werden müssen, um ein qualvolles Sterben der Tiere zu verhindern.
Für die Bergung der Ever Given war Feingefühl gefragt. Ein kleiner Bagger gegen tausende Kubikmeter von Sand, in der Hoffnung den tonnenschweren Schiffskoloss nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen und im schlimmsten Fall die Fracht abladen zu müssen, damit es zu keinem Kippen kommt und ein noch größeres und langwierigeres Problem entsteht. Hierbei können parallelen zu sämtlichen Bewältigungsversuchen von Krisen geschlagen werden. Es ist ein übergeordneter Plan notwendig, Klärungen mit verschiedenen Beteiligten und ein operatives Vorgehen, dass strategisch geplant sein will. Letztlich ergibt sich ein massives Problem, das mit scheinbar kleinen Hilfsmitteln gelöst werden soll und an den verschiedensten Stellen Koordinierung bedarf.
Bis sich der Stau aufgelöst hat, sind 12 weitere Tage vergangen. In diesem Zeitraum haben sich nachfolgende Prozesse in Logistik und Unternehmen ebenfalls verschoben und somit ist es mit dem Ausbaggern der Ever Given und dem aufgelösten Stau nicht vorbei.
Die Blockade im Suezkanal hat weitreichende Folgen: so sind die Häfen, die auch ohne die Havarie der Ever Given sehr gut ausgelastet waren, noch verstopfter. Das bedeutet noch längere Wartezeiten an den angelaufenen Häfen und auch, dass nicht alle Häfen, angefahren werden können. Ebenfalls folgen Probleme in der Hafenlogistik und bei der Abfertigung der Schiffe, da einige Prozesse wie An- / Ablegen und Be-/ Entladen nicht beschleunigt werden können.
Da einige Schiffe sich gegen ein Warten auf die Weiterfahrt der Ever Given entschieden haben, sind diese das Cap der guten Hoffnung entlanggefahren, was ebenfalls länger dauert und somit zu einer Verzögerung in der Lieferung führt. Die ägyptische Kanalbehörde berichtet von einem täglichen Einnahmeverlust von 14 Mio. Dollar durch den Verlust der Einnahmen dieser Schiffe, die den Kanal umfuhren, da eine Durchfahrt zwischen 250.000 bis 500.000 Dollar kostet. Diesen Verlust, von rund 916 Millionen Dollar, soll die Ever Given nun bezahlen, bevor sie ihre Durchfahrt fortsetzen darf. Die Eigner der Ever Given legen diese Kosten jetzt auf Grundlage der „Havarie-grosse“, auch „Große Havarei“ auf die Eigentümer der Ladung um. Der japanische Schiffseigentümer selbst will selbst nur 100 Mio. Doller bezahlen. Für einige Ladungseigentümer könnte das den Bankrott bedeuten. Ein weiterer Name der „Havarie-grosse“ ist „gemeinschaftliche Havarie“, was besser beschreibt, wofür es steht: im Falle eines Ereignisses, das Schiff und Ladung in Gefahr bringt und Maßnahmen zu derer Rettung getroffen, so müssen sich alle interessierte Parteien daran beteiligen – also Schiffs- und Ladungseigentümer. Für den ganzen Welthandel entstehen pro Woche laut Analyse von Volkswirten der Allianz Verluste von ca. 6 – 10 Mrd. Dollar.
Eine tagelange Unterbrechung der Lieferketten ist fatal. Es kann zu Versorgungsengpässen durch Abhängigkeiten von Zulieferungen aus anderen Ländern entstehen. Und laut Experten werden Verspätungen und Frachtpreise, welche aufgrund der Havarie der Ever Given entstanden und hochgeschnellt sind, erst in 4 Monaten zurückgehen.
In Deutschland werden keine großen Auswirkungen auf die Produktion selbst erwartet. Dies liegt unter anderem daran, dass zeitkritische Waren nicht auf dem Seeweg befördert werden. Hätte Deutschland allerdings eine JIT Produktion (Just In Time Produktion, dt: bedarfssynchrone Produktion), so wäre mit fehlenden Materialien zu rechnen gewesen. Und eine tagelange Unterbrechung der Lieferketten ist für produzierende Unternehmen fatal. Trotzdem sind die Folgen in Deutschland spürbar. So berichten Lidl und Aldi von im Prospekt beworbenen Produkten, die es „aufgrund der Suezkanal Problematik“ nicht in die Läden schafften.
Das meistens keine JIT Produktion stattfindet, obwohl es in Teilen möglich wäre, ist eine Entscheidung, die getroffen wird, um Auswirkungen von externen Einflüssen geringer zu halten und sich vor möglichen Effekten zu schützen. So ist es nicht nur ein blockierter Seeweg, sondern auch durch Naturphänomene, wie Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis kommt es des Öfteren zu Unterbrechungen im Welthandel. Als Folge des Klimawandels werden letztere Ereignisse immer häufiger. Das ist aber noch nicht alles. Auch politische Entscheidungen haben Auswirkung. So zum Beispiel die Handelssanktionen von den USA gegen China – wie also, kann man sein Unternehmen, außerhalb des Verzichts auf JIT Produktion, vor den Auswirkungen Lieferunterbrechungen jeglicher Art schützen?
Von Vorteil ist es, wenn Redundanzen existieren und keine Abhängigkeit von dem pünktlichen Eintreffen bestimmter Lieferungen. Dies kann unter Anderem durch einen Mindestbestand erreicht werden, der in Reserve zu halten ist und mit dem das Unternehmen einen gewissen Zeitraum auf einem akzeptablen Niveau überbrücken kann.
Neigen sich die Reserven dem Ende, sollte man seine Prioritäten sortiert und gesetzt haben, welche SLAs zu bedienen sind und welche Unternehmensprozesse Vorrang haben. Dazu sind die eigenen Prozesse zu verstehen, damit die kritischen Punkte identifiziert werden können. Idealerweise sind schon vorher unwichtigere Prozesse eingestellt worden, um einen möglichst effizienten Ressourcenumgang zu erreichen.
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