Dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist, ist nichts Neues. Nur ungerne verändert er seine regulären Verhaltensmuster. Um eine neue Gewohnheit zu erlernen, braucht es in der Regel 21 Tage, damit etwas im Denkmuster wirklich verankert ist, sogar zwei bis drei Monate. Was aber wenn wir uns in einer Situation befinden, in der diese Zeit nicht zur Verfügung steht und wir sofort handeln müssen? Ist der Mensch in der Lage seine Verhaltensweise der Situation angemessen anzupassen und außerhalb seiner regulären Muster vorzugehen? Leider lautet die Antwort oftmals Nein. In einer Situation, die überfordernd ist, wie es eine zeitkritische Situation für viele Personen ist, neigt der Mensch dazu in vertraute Verhaltensmuster zurückzufallen und sich auf die bekannten Abläufe zu verlassen. Denn genau diese Handlungen können unter Zeitdruck schnell abgerufen werden und es entsteht ein Kompetenzgefühl, da sich der Mensch in dem was er alltäglich tut sicher fühlt. Oftmals ist ein routiniertes Verhalten aber nicht die beste und effektivste Lösung in einer überfordernden Situation. Eine überfordernde, oder auch komplexe Situation, besteht, wenn die Herausforderung die eigenen Ressourcen übersteigt. Wie ausgeprägt die eigenen Ressourcen sind, ist von Person zu Person unterschiedlich. Sie umfassen aber immer personelle, technische und organisatorische Komponenten. So fallen unter die Ressourcen zum Beispiel Möglichkeiten der Stressbewältigung, eine Ausbildung, Unterstützung durch Computer, Softwares u. ä. aber auch ausreichend Personal.
Auch Situationen, die eine starke emotionale Belastung bedeuten, sind dazu prädestiniert in Personen ein Gefühl der Überforderung hervorzurufen. Da die Ressourcen und die Vorerfahrungen von Person zu Person so unterschiedlich sind, kann keine allgemeine Aussage darüber getroffen werden, ab wann eine Situation als überfordernd wahrgenommen wird oder wie eine Person mit einer belastenden Situation umgeht.
Es sind Situationen außerhalb des Alltages, außerhalb unseres regulären Handelns, so dass die üblichen Verhaltensmuster nicht ausreichend sind, um die Komplexität der Situation ausreichend zu adressieren.
Ist die Herausforderung unterschiedlich ist, so sollte unser Verhalten das ebenso sein. Klingt logisch, stellt für viele Personen aber in überfordernden Situationen ein Problem dar, denn wir fühlen uns in unbekannten Situationen sehr viel weniger handlungssicher und genau diese Handlungssicherheit möchten wir uns bewahren. Handlungssicherheit entsteht aus einem Gefühl der Kompetenz heraus. Und in dem was wir alltäglich machen, fühlen wir uns, wie bereits erwähnt, sicher und kompetent. Darum wollen wir davon nicht abweichen, auch wenn die Situation eine ganz andere ist.
Um unser Kompetenzgefühl trotz einer Überforderung aufrecht zu erhalten, gibt es das Phänomen der kognitiven Notfallreaktion. Die kognitive Notfallreaktion sorgt dafür, dass der Mensch in eine Art automatisierten Zustand geht. Selbstreflektion findet zu diesem Zeitpunkt weniger bis gar nicht statt und der Mensch tendiert zu einem schnelleren handeln. Damit wird unter anderem die Risikobereitschaft erhöht, aber auch die Tendenz vor der Situation zu fliehen wird höher. All das geht einher mit einem erhöhten Adrenalinspiegel sowie einem erhöhten Puls und einer verschnellerten Atemfrequenz. Dies sind Symptome, die ein jeder wohl schon einmal in einer stressreichen Situation gespürt hat. Der Umgang damit erfolgt unterschiedlich. Einigen gelingt es sich durch Entspannungsübungen zu beruhigen und wieder einen klaren Kopf zu gewinnen. Anderen fällt dies schwerer und sie erhoffen sich durch ein schnelles Handeln die Situation unter Kontrolle zu bekommen und dadurch schlussendlich ihre eigene Ruhe auch schnell wiederzuerlangen. Genau dies ist eines der Probleme der kognitiven Notfallreaktion, denn wenn es wichtiger wird etwas zu tun, als einen Schritt zurückzunehmen, die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und erst einmal zu denken, zu planen und eine Strategie zu entwickeln, die es ermöglichen würde effektiver und besser zu handeln, so kommen wir einer Bewältigung der Herausforderung nicht näher. Stattdessen fokussieren wir uns auf die Dinge, die wir bewältigen können mit den Mitteln und Ressourcen, die zur Verfügung stehen, bekannt sind und mit denen wir vertraut sind und uns kompetent fühlen. Auch wenn durch die kognitive Notfallreaktion ein Gefühl der Kompetenz bei der betroffenen Person vorhanden ist, so ist sie dieses oft nicht und sie ist auch nur bedingt handlungsfähig. Bei der kognitiven Notfallreaktion handelt es sich um einen dysfunktionalen Schutzmechanismus der Person, die lediglich das Gefühl der Handlungssicherheit und Kompetenz aufrechterhält. Nicht aber zu einer Bewältigung der Situation führt.

Ein Beispiel: Am Kölner Hauptbahnhof fallen mehrere Züge aufgrund eines plötzlichen Unwetters aus. Ein Schienenersatzverkehr wird etabliert und mehrere Hundert Personen stehen Schlange an den Infoständen und wollen die Informationen haben, wie sie denn nun zu ihrem Reiseziel gelangen. Die Mitarbeitenden an den Infoständen machen das, was sie immer tun – sie informieren eine Person nach der anderen. Dabei fühlen sie sich sicher, dass ist der Vorgang, den sie kennen. Aber ist es die effektivste Methode, 100-mal hintereinander dieselbe Auskunft zu geben? Eher nicht. Die Mitarbeitenden sind so sehr darauf fokussiert die Herausforderung der vor ihnen stehenden Menschenmassen Stück für Stück abzuarbeiten, dass es ihnen nicht in den Sinn kommt, einen Schritt zurückzunehmen, die Informationen zu bündeln und durch eine Durchsage und Anzeige auf den Infotafeln alle Personen auf einmal zu informieren. Durch das Beibehalten der regulären Vorgehensweise bleibt bei den Mitarbeitenden das Kompetenzgefühl vorhanden und es entsteht der Schein von Handlungsfähigkeit der eigenen Person. Ein Umstellen der Handlungsweise wird nicht in Betracht gezogen.

Besonders problematisch wird ein solches Verhalten, wenn sich die Person beispielsweise in einem Krisenstab befindet, da ein Einschätzen der Situation und der Lage, wenn überhaupt, nur bedingt stattfindet. Da keine Selbstreflexion stattfindet und eine Resistenz gegenüber Kritik und Verbesserungsvorschlägen einsetzt, werden Gegenstimmen nicht gehört oder gar ernst genommen. Ebenso kann es dazu kommen, dass diese Personen (un-)bewusst ignoriert oder auch aus relevanten Meetings ausgeschlossen werden. Ist der Leiter des Krisenstabes von einer kognitiven Notfallreaktion betroffen, so kann sich das auf die aktuelle Lage des ganzen Unternehmens auswirken. Und auch auf die Zukunft des Unternehmens, wenn nicht adäquat der entsprechenden Lage gehandelt wird. Nicht selten sorgt die kognitive Notfallreaktion dafür, dass zwar Pläne erstellt werden, diese aber ohne einen Realitätsbezug sind beziehungsweise nicht in die Umsetzung gehen. Die Pläne bestehen lediglich auf dem Papier, da eine Umsetzung aufzeigen würde, wo Probleme bestehen und somit das Kompetenzgefühl verloren gehen könnte. Um dieses Gefühl aufrecht zu erhalten, werden durch die kognitive Notfallreaktion ganze Blöcke an Informationen ausgeblendet, damit die Situation noch immer als beherrschbar und die betroffene Person somit als kompetent erscheint. Vereinen all diese Eigenschaften in der Position des Leitenden des Krisenstabs, so ist der ganze Krisenstab de facto handlungsunfähig.

Was allerdings kann man tun, um sich selbst und auch die Mitarbeitenden im Unternehmen auf Situationen außerhalb des Alltages vorzubereiten und somit einer kognitiven Notfallreaktion vorzubeugen?
Wie kann letztlich der Effekt erreicht werden, dass in einer außergewöhnlichen Situation bei den entscheidenden Personen eine funktionale Handlungsfähigkeit erhalten bleibt?
Das Stichwort lautet Vorbereitung. Sowohl auf potentielle Szenarien wie Brände, Cyber Angriffe, Strom- oder Produktionsausfälle, als auch auf die eigene Reaktion. Diese Vorbereitung erreicht man durch ein Stärken und Vermehren der Ressourcen. Ressourcen sollten hierbei auf notfallpräventiver Seite getroffen werden als auch auf Seite der Notfallbewältigung. Das können unter anderem Maßnahmen sein, wie Notfallpläne, als auch die Erschaffung, Vorbereitung und Schulung einer Notfallvorsorge- und Notfallbewältigungsorganisation, also einem Krisenstab. Damit dieser Krisenstab sich in außergewöhnlichen Situationen, in welchen er zusammentritt, sicher fühlt und dadurch handlungsfähig ist, ist es unabdingbar Rollen und deren Kompetenzen klar zu definieren. Die Personen, welche den Krisenstab darstellen, als auch ihre Vertreter, müssen über ihre Rolle sowohl informiert werden als auch idealerweise durch Schulungen, Übungen und Tests mit ihrer Funktion vertraut gemacht werden, dass die Durchführung der Krisenstabsarbeit für sie bekannt ist. Ist dies erreicht, so ist das Eintreten einer kognitiven Notfallreaktion unwahrscheinlicher, denn eine Handlungssicherheit bezüglich der anfallenden Arbeit besteht. Durch simulierte Notfälle können auch außerhalb der reinen Krisenstabsarbeit weitere Kompetenzen erlangt werden. Denn in Übungen erleben die Teilnehmenden die eigene und die Reaktion der anderen. Das bereitet sie darauf vor in einem Team zu agieren, in dem sie normalerweise nicht arbeiten, da viele verschiedene Bereiche zusammenkommen. Daraus entstehen weitere positive Nebeneffekte wie zum Beispiel, dass alltägliche Situationen eine geringere Stressreaktion hervorrufen und ein größeres Verständnis für die Arbeit von anderen Abteilungen und Bereichen des Unternehmens entsteht. Das führt zu einer gesteigerten Resilienz in Ihrem Unternehmen und zu gesünderen Mitarbeitenden.

Wenn Sie für Ihr Unternehmen Maßnahmen treffen möchten, um kognitiven Notfallreaktionen vorzubeugen, dann wenden Sie sich gerne an uns! Kommen Sie mit uns vor die Lage!