Befindet sich eine Gruppe von Personen in einer überfordernden Situation, also in einer Situation, bei der die Herausforderung die vorhandenen Ressourcen übersteigen, so kann es dazu kommen, dass die ganze Gruppe sich in eine Art kognitive Notfallreaktion flüchtet. Was eine kognitive Notfallreaktion ist, können Sie im vorangegangenen Blogartikel ausführlich lesen Kognitive Notfallreaktion – die Flucht ins vertraute Handeln – IUGITAS. Jedoch hier nochmal eine Kurzfassung: eine kognitive Notfallreaktion ist ein dysfunktionaler Schutzmechanismus, in der alles getan wird, um ein Kompetenzgefühl und ein Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. Oftmals werden, unangemessener Weise, die vertrauten und routinierten Verhaltensweisen fortgeführt, um eine scheinbare Handlungsfähigkeit sowie Kontrolle zu erhalten.
Wird von Gruppendenken gesprochen, so ist nicht von einer Schwarmintelligenz die Rede, sondern eher von dem genauen Gegenteil davon. Gruppendenken bedeutet nicht, das intelligente Entscheidungen aufgrund einer Kollaboration des Teams getroffen werden, sondern dass die ganze Gruppe so handelt, dass ein kollektiver Schutz für das Kompetenzgefühl der Gruppe entsteht. Es soll aktiv verhindert werden, dass es zu Konflikten innerhalb der Gruppe kommt, und es werden Entscheidungen so getroffen, dass das Konfliktpotential möglichst klein gehalten wird. Tritt Gruppendenken auf, so ist dies noch problematischer als ein Auftreten einer kognitiven Notfallreaktion einer einzelnen Person. Eine Korrektur wird sehr unwahrscheinlich, da eben nicht nur eine Einzelperson betroffen ist, deren Verhalten auffallen würde und durch andere Personen prinzipiell korrigierbar ist.
Aber auch außerhalb von überfordernden Situationen kann Gruppendenken auftreten. Es ist auch im Alltag möglich, dass eine Personengruppe das eigene Kompetenzgefühl durch Gruppendenken aufrechterhalten möchte. Darum geht Gruppendenken noch sehr viel weiter als eine kognitive Notfallreaktion. Gruppendenken tritt insbesondere auf, wenn ein sehr hoher Gruppenzusammenhalt besteht oder die Gruppe isoliert agiert beziehungsweise sehr homogen zusammengesetzt ist, also einen ähnlichen Hintergrund und somit ein ähnliches Wissen hat. Es kann unwissentlich zu Gruppendenken kommen, wenn keine systematischen Methoden zur Entscheidungsfindung angewendet werden. In Krisenstäben kann es insbesondere zu Gruppendenken kommen, wenn der Leiter des Krisenstabs einen besonders starken, direktiven Führungsstil fährt und die Mitglieder des Krisenstabes Sicherheit erfahren wollen.
Irving Janis hat im Jahr 1972 das Gruppendenken erstmalig untersucht und beschrieben. Es handelt sich laut ihm um eine vollständige Assimilation aller Einzelmeinungen innerhalb der Gruppe zu einer gemeinsamen Gruppenmeinung. Typisch sind die folgenden acht Symptome:
o Illusion der Unverwundbarkeit
o Glaube an die inhärente Moral der Gruppe
o Kollektive Rationalisierung von Misserfolgen
o Gruppenfremde Stereotypen
o Selbstzensur
o Illusion der Einstimmigkeit
o Direkter Druck auf Andersdenkende
o Selbsternannte Mindguards
Das latente Ziel des Gruppendenkens ist es das soziale Kompetenzgefühl aufrecht zu erhalten. Dies ist wichtig, damit die Gruppe ein Gefühl der Handlungssicherheit und der Überlegenheit gegenüber anderen hat und somit letztlich eine Bestätigung für ihr eigenes Handeln erfährt. Die Illusion der Unverwundbarkeit und der Glaube an die inhärente Moral der Gruppe sorgen dafür, das eben angesprochene Ziel zu erreichen. Die kollektive Rationalisierung von Misserfolgen bedeutet, dass die Gruppe davon ausgeht, dass ein Eintreten von Misserfolgen aus den äußeren Umständen heraus resultiert und nicht aufgrund der eigenen unzureichenden Planung oder gar falschen Handlungen seitens der Gruppe auftritt. Damit schreibt sich die Gruppe selbst eine Opferrolle zu und baut die Meinung auf, dass auch ein anderes Handeln zum selben Ausgang geführt hätte und sie den bestmöglichen Weg gewählt haben. Dadurch bleibt das Kompetenz- und Überlegenheitsgefühl vorhanden. Beim Gruppendenken werden gruppenfremde Stereotypen abgewertet, also es herrscht der Eindruck, dass die eigene Gruppe eine höhere Wertigkeit gegenüber anderen hat. So erreicht die Gruppe, dass ihre Handlungen die Besten und ihre Entscheidungen unanfechtbar sind. Da die Meinungen Anderer als minderwertig wahrgenommen werden, entsteht eine Art der Selbstzensur, da genau wie bei der kognitiven Notfallreaktion eine Resistenz gegenüber Kritik und von außen kommenden Anmerkungen existiert. All dies sorgt dafür, dass auf Andersdenkende ein Druck ausgeübt wird und damit auch die Illusion der Einstimmigkeit einhergeht. Tritt ein Gruppendenken auf, so werden i. d. R. Andersdenkende entweder von der Gruppe ausgeschlossen oder aktiv beziehungsweise passiv dazu gebracht, Kritik nicht anzubringen. Dass dies geschieht, ist auch auf selbsternannte Mindguards zurückzuführen. Mindguards sind Informationsfilter, die Abweichungen vom Gruppenkonsens verhindern. Diese Mindguards können sich entweder in einer einzelnen Person manifestieren, die die Relevanz von Informationen filtert, aber ebenso kann diese Filterung bei allen Personen im Unterbewusstsein stattfinden, das eigentlich relevante Informationen als unwesentlich eingestuft werden, da diese das Kompetenzgefühl angreifen würden und somit im Gegensatz zu dem latenten Ziel der Gruppe stehen.
Ein bekanntes Beispiel für die fatalen Auswirkungen von Gruppendenken ist das Unglück des Challenger Space-Shuttles im Jahr 1986. Dort haben Ingenieure von fehlerhaften Teilen am Space Shuttle gewusst, die letztlich dafür gesorgt haben, dass das Shuttle kurz nach dem Start auseinanderfallen und mit über 320 km/ h in den Atlantik stürzen sollte. Durch eine Ausgrenzung und Unterdrückung von Personen mit relevanten Informationen über die zum Unglück führenden Dichtungsringe, wurde dafür gesorgt, dass keine Bedenken gegenüber einer Startempfehlung geäußert wurden und der Start wie geplant durchgeführt werden konnte. All dies geschah, da vermieden werden sollte, dass es zu negativer Presse kommt. Im Endeffekt hatte es einen noch schlimmeren Ausgang als ein verschobener Start hätte haben können. Sieben Astronauten sind bei dem Unglück des Space-Shuttles gestorben, das Space Programm wurde anschließend für mehrere Jahre eingestellt.
Dadurch dass keine Bedenken, keine anderen Meinungen und keine Kritik gehört werden, bleibt das Gefühl der Überlegenheit und der Unantastbarkeit der eigenen Gruppe vorhanden. Wenn man sich vor Augen führt, wozu es in einer Arbeits- oder Projektgruppe kommen kann, wenn Gruppendenken auftritt, so wird schnell klar, dass ein Auftreten in einer komplexen Situation noch dramatischer sein kann. Ist ein Krisenstab von Gruppendenken betroffen, so folgt unter anderem ein Planoptimismus und ein falsches Einschätzen der Lage. Dementsprechend kann kein adäquates Handeln stattfinden. Und die Folgen können dramatisch sein. Daher ist es noch wichtiger als bei der kognitiven Notfallreaktion, dass die Gruppe aktiv zu verhindern versucht ein Gruppendenken auftreten zu lassen. Dabei hilft es eine gesunde Gruppendynamik aufzubauen und eine offene Fehlerkultur zu leben. Auch ist es hilfreich das zu Gruppenmeetings Externe hinzugezogen werden, damit ein Monitoring stattfindet und ein objektives Bild vorhanden bleiben kann. Insbesondere die Führungskraft sollte mit einem guten Beispiel voran gehen und für Kritik und weitere Lösungsvorschläge offen sein. Dadurch entsteht ebenfalls der positive Nebeneffekt, dass die Gruppe effektiver arbeitet. Irving Janis schlägt ebenfalls vor, das kleine Gruppen gebildet werden, die die gleiche Aufgabe bearbeiten und somit ein und dasselbe Problem von unterschiedlichen Sichtweisen betrachtet werden kann. Dies kann bei Krisenstabsarbeit allerdings problematisch werden, da ein erhöhter Personalansatz benötigt wird und wertvolle Zeit verloren geht.
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