Aufgrund multipler Bedrohungsmöglichkeiten (z.B. Naturphänomene, steigende Abhängigkeiten von Informationstechnologie, internationaler Terrorismus, Stromausfälle, Pandemien usw.) sind Notfallübungen ein wichtiges Instrument, um sich als Unternehmen/Organisation auf solche Szenarien vorzubereiten. Nur wer vorbereitet ist und sich auch vorbereitet fühlt, kann einen Notfall adäquat und rechtzeitig abhandeln. Ist dies nicht der Fall, so können sich Notfälle zu Krisen oder gar Katastrophen für das eigene Unternehmen/die eigene Organisation oder sogar für weitere Stakeholder entwickeln.
Dieser Artikel soll ein kleines Schlaglicht auf das komplexe Thema von Notfallübungen werfen, das durch das Heraustellen von einigen Aspekten die Wichtigkeit und die Problemfelder von solchen Übungen hervorheben soll. Es besteht also bei Weitem kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Wichtigkeit von Notfallübungen
Wie schon erwähnt, sind wir alle einer Vielzahl an Bedrohungen, die zu physischem oder finanziellen Schäden bzw. Schäden der Reputation führen können, nahezu ausgeliefert. Diese Bedrohungsmöglichkeiten sind nur schwer für alle zu tilgen, sie sind also feste Größen des alltäglichen Lebens. Jedoch können Gefahren oder Verwundbarkeiten bzw. Risiken durch geeignete Maßnahmen reduziert werden, so dass eine geringere Anfälligkeit für bestimmte Bedrohungsszenarien besteht. Dennoch bleibt immer ein gewisses Restrisiko bestehen, was bedeutet, dass sich trotz aller Maßnahmen ein Notfall ereignen kann. Genau dort setzt das Notfall- und Krisenmanagement an. Durch ein adäquat durchgeführtes Notfall- und Krisenmanagement können die Auswirkungen einer Schadenslage verringert oder gar minimiert werden. Jedoch gilt hier, wie auch bei den meisten Dingen: Übung macht den Meister.
Die Strukturierung und Vorgehensweise des Notfall- und Krisenmanagements sind in der Notfallvorsorgeplanung und dem Notfallhandbuch inklusiver der Geschäftsfortführungs- und Wiederherstellungspläne verschriftlicht. Übungen ermöglichen die Validierung dieser Verschriftlichungen auf die Praktikabilität, Aktualität, Effektivität und Vollständigkeit. Es werden also Lücken in der und Verbesserungsmöglichkeiten für die Notfallplanung anhand von praktischen Durchläufen von Notfallszenarien identifiziert. Die Lücken können anschliessend direkt praktikabel geschlossen und Verbesserungsmöglichkeiten eingebunden werden. Dies erhöht dauerhaft die eigene Preparedness und somit Resilienz.
Für das Notfallteam bzw. den Notfall- oder Krisenstab (im Folgenden nur noch als Stab bezeichnet) besteht im Rahmen einer Übung die Möglichkeit, Erlerntes zu erproben, ohne die Folgen einer Fehlentscheidung real tragen zu müssen. Es ist also erlaubt Fehler zu machen, um aus diesen Fehlern zu lernen. Dies und das Erleben von Stresssituationen im Rahmen der Übung, erhöht die Fähigkeit, in solchen Situationen und bei hohem Verantwortungsdruck Entscheidungen zu treffen und dadurch auch die Effektivität des Notfall- und Krisenmanagements bzw. die Leistungsfähigkeit des Stabes und jedes einzelnen Stabsmitgliedes zu steigern. Wird dies alles nicht geübt, so führt die Erkenntnis, dass man sich der Lage nicht gewachsen bzw. sich unvorbereitet fühlt, in einer realen Lage zu zusätzlichem Stress und zu einer geringeren Leistungsfähigkeit.
Die Möglichkeit, sich mit seiner Rolle im Notfall- und Krisenmanagement auszuprobieren, führt jedoch auch zu einem Gegenschluss: Nicht jeder ist für alle Rollen/Positionen im Stab oder generell das Notfall- und Krisenmanagement geeignet. Eine Übung hilft dies festzustellen, bevor es zu einer realen Lage kommt. Dies kann entweder von der Person selbst oder von anderen Führungskräften geschehen. Für solche Szenarien wird ein schlagkräftiges Team benötigt, weshalb die personelle Auswahl immer nach Fähigkeiten und Eigenschaften, nicht nach Rangordnung oder sozialen Aspekten geschehen sollte.
Der Stab erlernt durch die Übungen eine gewisse Art von Routine, die für das Bearbeiten von Hochstress-Situationen nötig ist. Aber auch das Durchdenken von komplexen Problemen, das Antizipieren von Ereignissen und Wirkungsmechanismen sind gefragt, da insbesondere das Krisenmanagement davon geprägt ist, dass keine vorgefertigten Lösungen bzw. Pläne existieren. Dies ist schon allein eine Fähigkeit, die von enormer Bedeutung ist. Jedoch wir hierdurch auch die Awareness für die Notwendigkeit einer Notfallplanung bzw. für Gefahren/Risiken und die Betrachtung von Zusammenhängen erhöht.
Das Erproben des Notfall- und Krisenmanagements ermöglicht die Festigung der Handhabung von gültigen Rahmenwerken, wie beispielsweise der abgestimmten Krisenkommunikation mit der allgemeinen Öffentlichkeit, mit Kunden und Behörden. Somit werden eine widersprüchliche oder gar fehlerhafte Kommunikation und ein ggf. daraus resultierender Imageschaden verhindert. Auch kann eine Zusammenarbeit Behörden oder anderen Stakeholdern nötig sein, die ggf. ganz andere Arbeitsweisen oder Begrifflichkeiten aufweisen. Somit muss auch diese Zusammenarbeit so geübt werden, dass eine gemeinsame, unmissverständliche Kommunikation und Kooperation ermöglicht wird.
Als letzten Punkt für diesen Absatz soll noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hingewiesen werden: Durch das gemeinsame Üben und Erleben einer Notfalllage wird auch die Teamarbeit und die Motivation gesteigert. Erfahrungen haben aufgezeigt, dass nach solchen Übungen oder gar das Erleben von Reallagen, der Zusammenhalt innerhalb des Stabes massiv angestiegen ist und effektiver war als gängige Seminare für das Teambuilding.
Probleme der Initialisierung
Sollen Notfallübungen geplant und durchgeführt werden, ist es zunächst wichtig, dass eine Notfallvorsorgeplanung und ein Notfallhandbuch inkl. aller Begleitdokumente existieren, da selbstverständlich sonst die Notfallplanung auch nicht erprobt werden kann. Ebenso muss schon im Vornhinein der Stab gebildet und alle Positionen festgelegt worden sein. Dies beinhaltet auch, dass jede Position in der Ausübung der entsprechenden Aufgaben ausgebildet ist, da in Notfallübungen die Theorie in die Praxis überführt werden soll. Ist dies alles nicht der Fall, so hat zunächst die Leitung/das Management die Einführung eines Business Continuity Managements in Erwägung zu ziehen bzw. es auszubauen und auf ein anwendbares Level zu heben.
Es muss klar sein, dass Übungen im Notfall- und Krisenmanagement einen hohen Ressourcenbedarf aufweisen. Eine Planung einer solchen Übung benötigt vor allem sehr viel Zeit und bindet Personal. Es ist nicht damit getan, dass sich der Stab in einem Raum zusammenfindet und mal eben ein Szenario durchdenkt. Zunächst muss das Szenario geplant und vorbereitet werden, bevor es dann stattfinden kann. Dafür benötigt es diverse Verschriftlichungen, Vorbereitungen von Räumlichkeiten und Einbindung von weiteren Personen zur Übungssteuerung, Beobachtung und Coaching. Nach der Durchführung muss eine Auswertung stattfinden, um alle Vorteile einer Übung auch tatsächlich ausschöpfen zu können. Während der Übung muss der geplante Notfall- bzw. Krisenstab von der eigentlichen Arbeit freigestellt werden. Dies alles verursacht Kosten, die viele Unternehmen/Organisationen nicht bereit sind zu tragen. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein nicht adäquat abgehandeltes, reales Notfallszenario zu höheren Schäden führt, ungemein größer, als die Einführung und Übung eines Business Continuity Managements.
Die zu übenden Szenarien sind deshalb in der Erstellung so zeitaufwendig, da es sich um ein realistisches, in sich logisches, inhaltlich korrektes, anspruchsvolles und zielgruppenspezifisches Szenario handeln muss. Dabei müssen auch Handlungen bzw. Entscheidungen des Stabes antizipiert und Reaktionen im Voraus erstellt werden. Bevor ein Übungsszenario fertig gestellt ist, bedarf es vieler gedanklicher Durchläufe und ist auch meist nach den ersten realen Durchläufen nicht zu hundert Prozent vorgedacht, da Stäbe immer wieder andere kreative Lösungswege beschreiten (was nicht nur akzeptiert, sondern je nach Lage auch gewünscht ist). Daher ist von der Übungsleitung/-steuerung immer ein gewisses Maß an Improvisationstalent und einhergehender Fachkenntnis gefordert. Somit ist auch hier auf die Auswahl der richtigen Personen zu achten. Aufgrund dessen kann es, wie auch bei der BCM Implementierung, sinnvoll sein, dass externe Firmen mit dieser Aufgabe betraut werden.
Leider ist eine einzige Übung nicht dafür geeignet, dass das Notfall- und Krisenmanagement adäquat verinnerlicht wird. Es gibt bei dem Ausbau von Kompetenzen/Fähigkeiten verschiedene Stufen: Wissen, Verstehen, Durchdringen. Bedeutet: Zunächst lesen oder hören wir etwas von dem zu Erlernenden, wissen also, dass es so etwas gibt und wie es prinzipiell aussieht. Die geschieht hier in dem Aufbau der Notfallplanung (Wissen). Die Mitglieder erlernen dann die Fähigkeiten, die es in ihrer Position bedarf, um stabsmäßig Notfälle abzuarbeiten. Sie sind also theoretisch nun dazu in der Lage aktiv zu werden (Verstehen). Erst durch die regelmäßige Anwendung jedoch wird das Erlernte gefestigt, Feinheiten werden deutlich, Abläufe optimiert und verinnerlicht (Durchdringen). Nochmal: Übung macht halt den Meister.
Die häufigsten Probleme eines Übungs-Stabs
Wichtig zu erwähnen ist zunächst, dass Übungsszenarien nicht direkt einen zu hohen Komplexitätsgrad aufweisen. Denn Anfangs sollten nur die grundlegenden Fähigkeiten gefestigt werden, ohne die es bei komplexeren Lagen zu einem Kollaps des Bewältigungsgefüges kommen könnte, also die Lage nicht kontrolliert werden kann. Erst bei weiteren Übungszyklen kann der Schwierigkeitsgrad gesteigert werden.
Ein Problem von Stäben, das eigentlich schon im Vorhinein durch Aufklärung verhindert werden kann bzw. sollte, ist das falsche Verständnis des Stabes an sich bzw. der eigenen Rolle der Positionen. Wenn die einzelne Person nicht ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten weiß bzw. versteht, so ist sie nicht fähig zur Lagebewältigung beizutragen und wird damit zu einem störenden Faktor. Dies gilt auch für den Stab an sich. Es muss sich über die Position in der Führungsstruktur und den Verantwortlichkeiten im Klaren sein. Es kommt nicht selten vor, dass Aufgaben wahrgenommen werden, die nicht für diesen speziellen Stab vorgesehen sind, sondern für höhergeordnete oder darunterliegende Stellen. Auch ist die Auftragserteilung/Meldung an bestehenden Strukturen vorbei nicht nur hierarchisch untersagt und kann zu persönlichen Konsequenzen führen, sondern führt zu mangelnder Informationslage, Missverständnissen oder Fehlern und damit ggf. zu unklaren und unkontrollierbaren Zuständen.
Das mit Abstand größte Problem im Rahmen der eigentlichen Bewältigung ist die Kommunikation bzw. der Informationsfluss. Dies betrifft sowohl die Wege innerhalb des Stabes, als auch nach außen. Dadurch entstehen unterschiedliche Bilder der Lage, was zu einer ineffizienten Arbeit führt. Wichtige Informationen werden nicht weitergeleitet und erreichen nicht ihr notwendiges Ziel, was Maßnahmen nicht ergreifen oder manchmal sogar mehrfach durchführen lässt, weil angenommen wird, dass es anderweitig vergessen wurde. Man denke nur mal selbst nach, was man machen würde oder kann, wenn Handlungsdruck herrscht, aber keine Meldungen oder Rückmeldungen über das aktuelle Geschehen verfügbar sind. Falsche Entscheidungen oder völliger Stillstand in der Notfallbewältigung können die Folge sein. Oftmals wird diesem Problem mit neuen technologischen Lösungen, wie z.B. Stabssoftware, begegnet. Jedoch ist genau dieses ungewohnte Handwerkszeug ein Störfaktor in der stabsmäßigen Arbeit. Die Personen sind nur noch mit dem Betrieb der ungewohnten Software beschäftigt und werden durch die ungewohnte Bedienung in ihrer Arbeitsgeschwindigkeit ausgebremst. Daher gilt hier: Am besten das nutzen, was täglich genutzt wird. Somit sind oftmals der Zettel und der Stift die beste Wahl, wenn auch nicht die trendigste.
Viele Stäbe wenden nicht den ihnen bekannten Führungskreislauf an (öfters auch PDCA, also Plan-Do-Control-Act -Kreislauf genannt). Hierbei sollte zunächst die Erkundung der Lage im Vordergrund stehen, damit auf deren Erkenntnissen Entscheidungen getroffen werden können. Nicht selten kommt es jedoch vor, dass erst Maßnahmen ergriffen werden, ohne überhaupt zu wissen, was vorgefallen ist. Unklare Informationen werden nicht überprüft, sondern direkt Annahmen getroffen, was aber, je nach Situation, verheerende Folgen haben kann. Nach der Erkundung folgt in dem Kreislauf das Bewerten der Informationen und das Abwägen und Treffen von Entscheidungen. Diese Entscheidungen münden in Maßnahmen, die entweder von anderen Ebenen oder den einzelnen Positionen abzuarbeiten sind. Oftmals kommt jedoch keine solche Arbeitsaufteilung auf, sondern es bilden sich Diskussionsrunden, in denen zunächst evaluiert wird, wie eine Information zu verstehen ist, oder alle arbeiten an der gleichen Aufgabe, so dass eine sequenzielle und keine parallele Abhandlung von Aufgaben erfolgt. Auch eine Auftragserteilung zu anderen Ebenen findet oftmals nicht statt, da dies entweder schlicht vergessen wird (Informationsfluss, siehe oben) oder die Aufgabe selber abgewickelt werden soll, was aber nicht der Verantwortlichkeit entspricht (Bewusstsein der eigenen Rolle, siehe oben). Falls die Auftragserteilung doch geschieht, so muss konsequent evaluiert werden, ob die getroffenen Maßnahmen Wirkung zeigen. Doch auch hierfür müssen Erkundigungen eingeholt werden (da auch die anderen Ebenen sich nicht alle autark melden), was, wie hier diskutiert, eben ein Problem vom Anfang des Kreislaufes darstellt.
In einer Notfall- oder Krisensituation müssen viele Aufgaben bearbeitet werden, wobei es jedoch nicht möglich ist, alles zur gleichen Zeit zu erledigen. Daher bedarf es einer Priorisierung. Damit priorisiert werden kann, muss aber auch Wissen über bestimmte Vorlaufzeiten für bestimmte Maßnahmen und die Fähigkeit des Antizipierens des weiteren Verlaufes der Lage vorhanden sein. Es ist zu beobachten, dass sich viele Stäbe dieser Notwendigkeit einer Priorisierung und der Antizipation nicht bewusst sind. Daher ergreifen sie notwendige Maßnahmen zu spät und laufen der Lage hinterher. Sie reagieren, statt zu agieren.
Übende müssen für Übungen eine gewisse Imaginationsfähigkeit mitbringen, um in dieser künstlichen Lage zu leben. Denn reale Schadensszenarien darzustellen ist nicht immer möglich oder gar sinnvoll. Wird die Übung nicht ernst genommen, kann das Erleben von realähnlichen Situationen mit Druck/Stress nicht erprobt und gelernt werden, was in Reallagen Fehlentscheidungen und ein Vergessen von Wissen zur Folge haben kann. Ist das Szenario entsprechend adäquat ausgearbeitet und treten die Übenden diesem offen entgegen, so ist es keine Seltenheit, dass vergessen wird, dass es sich „nur“ um eine Übung handelt.