Entscheidungsfindung in einem Notfall oder gar einer Krise ist eine Kunst. Die Entscheider sind entweder einfach gut darin oder haben am Ende nur Glück zu wissen wen sie anrufen müssen. Allerdings wird die richtige Entscheidung oft aus den falschen Gründen getroffen! Für diejenigen, die wissen, dass sie nicht brillant in der Entscheidungsfindung sind oder sich nicht auf ihr Glück verlassen wollen habe ich mir einfache Werkzeuge und Techniken angesehen, die für Notfallteams leicht zu verstehen und daher während eines Vorfalls anwendbar sind.

Eines der Werkzeuge, das viele zu nutzen und zu übernehmen versuchen, ist das UK Police National Decision Model (NDM). Viele Business Continuity Beratungsunternehmen lehren eine zivile Version davon. Für mich ist es ein wenig zu komplex und ich bin immer noch auf der Suche nach etwas Einfacherem.

Auf der Suche nach Erkenntnissen und Instrumenten für die Entscheidungsfindung stieß ich auf ein ausgezeichnetes Paper von Carolyne Smart und Ilan Vertinsky mit dem Titel „Designs for Crisis Decision Units“. Ein Teil dieses Papiers behandelt „Gruppendenken“ (engl. groupthink) und einige Techniken, um es zu vermeiden. Das Erkennen der Auswirkungen von Stress und das Vermeiden von Gruppendenken tragen dazu bei, dass Sie bei Vorfällen die besten Chancen haben, effektive Entscheidungen zu treffen.

Laut dem Cambridge English Business Dictionary ist Gruppendenken definiert als „der Prozess, in dem schlechte Entscheidungen von einer Gruppe getroffen werden, weil ihre Mitglieder keine Meinungen äußern, neue Ideen vorschlagen usw. wollen, denen andere potentiell nicht zustimmen“. Insbesondere unter dem Stress einer neuen unbekannten Situation wie einem Notfall neigen ungeübte Mitglieder eines Notfallteams zu dieser Art von Gruppendenken. Sie überlassen eher die Führung anderen und übernehmen deren Meinungen weil sie glauben, dass sie mehr Erfahrung haben und daher auch eher die richtigen Entscheidungen treffen werden.

Wenn wir also wissen, dass unser Team für Gruppendenken anfällig sein könnte, wie erkennen wir dessen Auftreten und welche Maßnahmen können wir ergreifen um sicherzustellen, dass es erst gar nicht dazu kommt? Laut Smart und Vertinsky gibt es acht Symptome des Gruppendenkens:

  • Die meisten Gruppenmitglieder entwickeln eine Illusion der Unsichtbarkeit, die übermäßigen Optimismus und Entscheidungen mit sehr hohem Risiko fördert.
  • Die Gruppe ignoriert Warnungen und negative Rückmeldungen, die eine Neubewertung einer Entscheidung erzwingen könnten. Es wird versucht, den Status quo zu rationalisieren.
  • Die Gruppenmitglieder zeigen einen ausgeprägten Glauben an ihre eigene Moral. Die ethischen und moralischen Folgen der Entscheidung können völlig ignoriert werden.
  • Die Gruppe hat eine stereotype Sicht auf ihren Gegner und unterschätzt ihn meist. Der Gegner gilt als unmoralisch und zu böse, um zu versuchen, echte Verhandlungen zur Konfliktlösung anzubieten, oder als zu dumm oder schwach, um wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
  • Die Gruppe übt Druck auf alle Mitglieder aus, die Zweifel an einer Vorgehensweise äußern oder Argumente hinterfragen, die von der Mehrheit unterstützt werden. Der Nachteil einer jeden Aktion wird nicht diskutiert.
  • Einzelne Mitglieder üben Selbstzensur aus und schweigen über ihre eigenen Zweifel.
  • Gruppenmitglieder teilen die Illusion, dass Einstimmigkeit Wahrheit bedeutet.
  • Die Gruppe entwickelt selbsternannte „Mindguards“ die die Entscheidungsträger vor Mitgliedern schützen, die gegen die vermeintlich gemeinsamen Überzeugungen verstoßen.

Welche Maßnahmen können wir nun ergreifen um ein Gruppendenken in unserem Team zu vermeiden?

  • Lassen Sie die Mitglieder des Notfallteams das Problem oder die Lösung mit ihrem „Heimat-Team“ besprechen, um eine externe Sichtweise zu erhalten und die Lösung zu überprüfen oder anzufechten.
  • Verwenden Sie kreative Problemlösungstechniken wie z.B. Brainstorming, die zu eigenständigem Denken und Ideen führen können, anstatt dem Konsens der Gruppe zu folgen.
  • Setzen Sie die Betrachtung langfristiger Themen als Teil der Agenda auf oder benennen Sie jemanden, der parallel dazu die langfristigen Lösungen betrachtet. Auf diese Weise können kurzfristige Entscheidungen kritisch betrachtet und überprüft werden, ob sie zu einer langfristigen Lösung passen.
  • Geben Sie einer Person die Rolle des Anwalts des Teufels („Maverick“) und stellen Sie die Lösungen der Gruppe in Frage. Die Rolle sollte im Team rotieren, damit auch der Maverick nicht irgendwann dem Gruppenzwang unterliegt und zum gemeinsamen „Feind“ wird, was erneut das Gruppendenken beflügelt.
  • Die Teilnahme an Übungen kann dazu beitragen, das Vertrauen des Teams zu stärken und sie erzeugen Erfahrung, auf die sie zurückgreifen können um Gruppenlösungen und Entscheidungen herauszufordern.
  • Der Einsatz professioneller externer Hilfe wie die Einbindung eines externen Krisenmanagement-Profis im Team kann wieder eine alternative Sichtweise vermitteln und sie können ihre Erfahrungen einbringen, um zu Gruppenentscheidungen beizutragen.

Wenn Sie das nächste Mal in einer Übung oder Besprechung sind beobachten Sie einmal, ob Sie die ersten Anzeichen für ein Gruppendenken erkennen können oder ob Sie sicher sind, dass die Mitglieder des Notfallteams unabhängige Entscheidungen treffen und ob es eine angemessene Diskussion gibt um sicherzustellen, dass die beste Entscheidung getroffen wird. Die Integration einiger der oben genannten Techniken in den Ablauf der Stabsarbeit wird zur Qualität der Entscheidungsfindung durch Ihr Notfallteam beitragen.

Übrigens ein grandioser Lehrfilm dazu ist Apollo 13.

Link: Designs for Crisis Decision Units