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Krisenmanagement nach Produkterpressung

 

Krisenmanagement nach Produkterpressung

Terpentin, Kolibakterien, Pflanzenschutzmittel, Zyanid, Glassplitter oder Chemikalien: Die Liste der Mittel, mit denen Produkte versetzt wurden, um Firmen zu erpressen, ist lang; die Beschaffung dieser Giftstoffe hingegen einfach. Der Kern jeder Produkterpressung liegt in der Natur der Täter, in ihrer Psyche, in ihrer kriminellen Energie und in ihrer Entschlossenheit, die Drohung umzusetzen. Ein Blick auf die Statistik bringt erstaunliche Erkenntnisse: „Die Täter“ ist meist „der Täter“, nämlich ein klassischer Einzeltäter. Oftmals versucht dieser Einzeltäter, eine Gruppe vorzutäuschen, um seine „Gefährlichkeit“ zu erhöhen. Es sind fast ausschließlich Männer, die diese Art von Verbrechen begehen, und sie sind oftmals überdurchschnittlich intelligent. Interessant ist auch, dass man kaum Vorbestrafte oder Gewohnheitsverbrecher im Täterkreis von Produkterpressern findet. Die psychischen Profile dieser Täter gäben gewiss genug Stoff für eine eigene wissenschaftliche Abhandlung. Für die betroffenen Unternehmen ist die Einschätzung der Gefährlichkeit, und daraus abgeleitet die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung der Drohung, eine der Kernfragen in der Krisenstabsarbeit. Grundsätzlich sollte sich ein betroffenes Unternehmen immer für das „Worst-Case- Szenario“ vorbereiten. Allerdings kann eine realistische Lageeinschätzung verhindern, dass überreagiert wird.

Wir geben hier einen Einblick, in den Fall „Tylenol“:

„Tylenol“ gilt als der erste Fall von Produkterpressung in der Neuzeit. Vom 30.09.1982- 01.10.1982 starben in den USA auf Grund der Einnahme des Medikaments 8 Menschen. Hier ein kurzer Überblick über das Geschehen: Ein sechsjähriges Mädchen, klagte am Morgen des 30.09.1982 über Erkältungsbeschwerden. Daraufhin gaben ihr ihre Eltern das Medikament „Tylenol extra strong“ um die Beschwerden zu lindern. Das Mädchen schlief ein und wurde wenige Stunden später tot aufgefunden.
Gleichzeitig verspürte ein Mann starke Kopfschmerzen und entschied sich ebenfalls für die Einnahme von „Tylenol extra strong“. Er verstarb wenige Stunden später. Die trauernden Angehörigen (Ehefrau und Bruder des Toten) konsumierten auch Tabletten aus dem verunreinigten Gebinde und verstarben am 01.10.1982.
Weitere drei Menschen starben an den Folgen der Einnahme von verunreinigten Tabletten in Chicago. Eine Frau fand dadurch in New York den Tod. Die Untersuchung der Kapseln ergab eine Verunreinigung mit Kaliumcyanid. Kaliumcyanid ist auch unter dem Namen „Zyankali“ bekannt.
Auf Grund der Tatsache, dass die verunreinigten Kapseln in verschiedenen Fabriken produziert wurden, geht man davon aus, dass das Produkt im Handel verunreinigt wurde.
Die Auswirkungen führten zu einer landesweiten Panik. Durch die massive Öffentlichkeitsarbeit, und die Warnmaßnahmen der Polizei (Einsatz von Lautsprecherwagen) wurden die Einwohner von Chicago umfassend informiert. Ebenso aber auch verängstigt. Der Hersteller Johnson&Johnson entschied sich für einen Rückruf aller ihrer auf dem Markt befindlichen Tylenolfläschchen. Dies waren 31 Millionen. Allein dadurch entstand dem Unternehmen ein Schaden von ca. 100 Millionen US Dollar. Die Morde lösten die größte Produktmanipulationsuntersuchung in der Geschichte der Strafverfolgung aus, da FBI-Agenten und fast 120 Ermittler aus verschiedenen staatlichen und lokalen Polizeibehörden daran arbeiteten, den/die Täter zu identifizieren. Obwohl niemand wegen mangelnder Beweise für die Morde angeklagt werden konnte, wurde James Lewis – ein 37-jähriger New Yorker Mann – wegen des Versuchs angeklagt, 1 Million Dollar von Johnson & Johnson, zu erpressen. Lewis wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Vergiftungen führten 1983 zur Verabschiedung eines strengen Bundesgesetzes gegen Produktverfälschungen. Des Weiteren besteht bis heute ein Kopfgeld von 100.000 US Dollar, welches nie ausgezahlt wurde. Dazu kommen 270 Nachahmungstaten im Folgejahr, bei denen es die verschiedensten Varianten der Produkterpressung gab.
Die Krise um die Produkterpressung im Tylenol Fall brachte Johnson & Johnson einen Verlust von 87% der Markanteile im freiverkäuflichen Schmerzmittelsektor. Der Börsenwert fiel um mehr als eine Milliarde US Dollar. Zu diesem Zeitpunkt schrieben die Börsenexperten das Produkt komplett ab.
Johnson & Johnson berief umgehend einen Krisenstab ein und übergab die Leitung an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Tochterfirma MCNeil Consumer Products, David Collins. Dieser legte seine Prioritäten wie folgt fest:

1. Die Todesfälle sofort beenden
2. Die Ursache der Todesfälle herausfinden
3. Die Betroffenen unterstützen

Um diese Ziele zu erreichen, wurden unmittelbar nach Bekanntwerden der Problematik 93.400 Tylenolfläschchen aus dem Handel genommen. Des Weiteren gab es eine sofortige Einstellung der Bewerbung für Tylenol. Um die Gefährdung weiterer Opfer bestmöglich einzudämmen wurden 500.000 Telegramme an Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken versendet. Herausragend zu nennen war die enge Zusammenarbeit mit der Presse. Es wurde Alles öffentlich thematisiert mittels Pressekonferenzen, Zeitungsartikeln und Fernsehberichten. So konnte das Unternehmen einen weiteren Schaden für die Öffentlichkeit abwenden. Keine 6 Wochen später kehrte das Produkt Tylenol zurück auf den Markt. Es gab eine große Werbemaßnahme: 2259 Verkäufer des Unternehmens telefonierten mit rund einer Million Ärzte und Apotheken um über die neuen, sicheren Tylenolfläschchen zu berichten. Dazu gab es auch eine Pressekonferenz, bei der die Fläschchen mit verbesserter Verpackung vorgestellt und kostenlose Muster an die Pressevertreter verteilt wurden. Dies war ein Meilenstein in der Pharmabranche. Durch den Fall Tylenol wurde ein neues Gesetzt über Produktverpackungen verabschiedet. Die Krise kostete Johnson & Johnson ca. 500 Millionen US Dollar. Man entschied sich aber den Produktnamen beizubehalten. Der Markenerhalt war zwar teuer, brachte aber nach sechs Monaten eine Umsatzsteigerung von 24%.

Wie wäre so ein Vorfall in Ihrem Unternehmen abgelaufen? Hätten Sie ähnlich agiert?

Lassen Sie und gemeinsam nach weiteren Möglichkeiten der Krisenprävention suchen, um Ihr Unternehmen ein Stück sicherer zu machen.

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